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Ruhm oder Verrat - Eine Schlüsselfrage. Mannheims dritte Zerstörung 1795

farbiges Abbildung von zwei Mannheimer Stadtschlüsseln (Ausschnitt) aus dem 18. Jahrhundert

Das Pariser Nationalarchiv verwahrt eine Reihe von Schlüsseln deutscher Städte, darunter findet sich auch ein Paar aus Mannheim. Es ist wahrscheinlich, dass es sich exakt um die Schlüssel handelt, die eine Mannheimer Deputation am 20. September 1795 auf der Rheinschanze der französischen Armée du Rhin übergab. Wie kam es zu diesem symbolischen Akt, der von der einen Seite als "Gipfel des Ruhmes für die Republik", von der anderen als "heller Verrat" etikettiert wurde?

Bereits am 20.April 1792 hatte das revolutionäre Frankreich Österreich und dem Kaiser den Krieg erklärt. Der erste von insgesamt sechs Koalitionskriegen begann, in deren Verlauf unter anderem die rechtsrheinische Kurpfalz im neu geschaffenen Großherzogtum Baden aufging. Bei Kriegsbeginn verhielt sich der in München residierende Kurfürst Karl Theodor neutral. Seine Regierung wollte verhindern, dass die Kurpfalz und das Oberrheingebiet zu einem Hauptkriegsschauplatz werden könnten. Im Februar 1793 besetzten die Franzosen das bisher ebenfalls neutrale Pfalz-Zweibrücken. Kurz darauf wurde dann offiziell der Reichskrieg gegen Frankreich erklärt. Die pfalzbayerische Neutralitätspolitik war nun obsolet geworden, doch hinderte dies Kurfürst Karl Theodor und seine Regierung nicht, sich weiterhin zurückhaltend und lavierend zu verhalten.

Zu Jahresbeginn 1794 tauchte auf dem linken Rheinufer erneut französisches Militär auf, besetzte Mundenheim und begann mit Schanzarbeiten. Ende November 1794 standen an der Rheinschanze etwa 3.000 Mann als Verteidiger einem 18.000 Mann starken französischen Heer gegenüber, so dass am 25.Dezember 1794 der Festungskommandant Bernhard Erasmus Deroy, ein gebürtiger Mannheimer, die Rheinschanze den Franzosen übergeben musste. Die Lage spitzte sich immer mehr zu. General Jean-Charles Pichegru, Oberkommandant der Armée du Rhin, forderte am 18.September 1795 den Stadtgouverneur Johann Ernst Theodor von Belderbusch auf, die Tore Mannheims zu öffnen, ansonsten würde er sie beschießen lassen. Er übermittelte seine Kapitulationsbedingungen, die Graf Franz Albert von Oberndorff, der Statthalter Karl Theodors in der Pfalz, letztlich ohne Verhandlungen akzeptierte. Seine Einwilligung rechtfertigte Oberndorff später mit einer Weisung Karl Theodors, im "äußersten Notfall" die Stadt vor einem Bombardement zu verschonen. Noch bevor überhaupt ein Schuss gefallen war, unterzeichnete er zusammen mit Belderbusch und Deroy die Kapitulation. Die Schlüsselgewalt ging damit auf die Armée du Rhin über.

Welch hohe Symbolik mit diesem Akt verbunden war, ist unter anderem daran erkennbar, dass die Mannheimer Stadtschlüssel dem Nationalkonvent in Paris ausgehändigt wurden. Dort wurden sie, wie andere deutsche Stadtschlüssel aus jenen Jahren, registriert und als Insignien der Macht dauerhaft in den Archives nationales verwahrt.


Zwei Mannheimer Stadtschlüssel aus dem 18. Jahrhundert. Das Lederband trägt die Aufschrift "Rhinthor", Objekt: Paris, AE/Vlm, Nr. 7

Nach den Memoiren des Hofmalers Johann Christian von Mannlich hatte sich zur Übergabe der Schlüssel die Mannheimer Deputation frühmorgens zum Adjutanten Pichegrus, Antoine Merlin de Thionville, in die Rheinschanze begeben: "Er empfing die Mannheimer Herren als Diktator, führte sie in das Innere der Verschanzungen und machte sie auf die sechs großen Kanonen aufmerksam, die auf die Kathedrale, die Jesuiten und reformierte Kirche, die Sternwarte und das Schloss gerichtet wären […], und jagte ihnen Angst ein mit einem kleinen Ofen, in dem die Kugeln glühend gemacht werden sollten, um die Stadt in Asche zu legen."

Mannlich kolportierte damit die im Umfeld des Kaisers vorherrschende Meinung, die Mannheimer hätten sich hasenfüßig von der vermeintlichen Stärke der Armée du Rhin blenden lassen und völlig übereilt gehandelt. Der Wiener Hof gab sich entrüstet, den Gesandten Karl Theodors wurde unmissverständlich erklärt, dass fortan die Stadt keine Schonung mehr zu erwarten hätte. So erwies sich die Übergabe als ein "Schlüsselmoment" Mannheimer Geschichte, freilich ganz anders als intendiert. Statt Schonung und Frieden brachte sie Zerstörung und Krieg.


Tafel 1 aus den "Vues de Mannheim", Stiche der Gebrüder Klauber nach Zeichnungen von Johann Franz von der Schlichten, 1782. Ausgabe im MARCHIVUM von 1856

Zwar hatten die kaiserlich-österreichischen Truppen ebenso wie die pfalzbayerische Garnison mit Festungskommandant Deroy Mannheim bei Einmarsch der Franzosen sogleich verlassen. Doch bereits am 17. und 18. Oktober 1795 standen die österreichischen Truppen von General Wurmser wieder vor der Stadt. Mitte November war der Belagerungsring geschlossen, ein mehrtägiges Bombardement setzte ein. Versuche, nun die Franzosen zu einer kampflosen Übergabe zu überreden, scheiterten. Eine Mannheimer Deputation, die sich am 20. November zu General Wurmser begab, wurde nicht einmal vorgelassen. An diesem Tag und in der Nacht flogen allein 1.400 österreichische Geschosse in die Stadt, die Beschießung erlebte ihren Höhepunkt. Angesichts der militärischen Überlegenheit und einer Serie von Niederlagen der Truppen am Oberrhein stimmte tags darauf deren Kommandant Charles Basset Montaigu der Übergabe der Stadt zu. Um sechs Uhr abends begann der Waffenstillstand und Frankreich akzeptierte die harten Kapitulationsbedingungen der Österreicher.

Kaum hatte der siegreiche General Graf von Wurmser im Palais Bretzenheim sein Hauptquartier aufgeschlagen, ließ er die Stadt seine Macht spüren. Eine seiner ersten Anordnungen war die Beschlagnahmung der kurfürstlichen Kassen. Er verlangte die Gelder für sich, um damit die Verpflegung seiner Truppen und die Instandsetzung der Festungswerke zu bestreiten, für beides wurde die horrende Summe von 1.996.881 Gulden veranschlagt. Monatelang verhandelten darüber die Gesandten in München und Wien, bis sie sich auf einen Betrag von 366.164 Gulden verständigten. Wurmser belegte Mannheim für die "hinterlistige Übergabe der Stadt an die Franzosen" zusätzlich mit einer Strafe in Höhe von 400.000 Gulden, die er zynisch "Douceur" nannte, also eine Freundlichkeit, mit der sich die Stadt für die Befreiung von der französischen Besatzung bedanken sollte. Im Falle der Weigerung drohte er mit Plünderung durch seine Soldaten. In mehreren Verhandlungsrunden wurde die Forderung schließlich auf 150.000 Gulden gedrückt, und die pfalzbayerische Hofkammer streckte der Stadt 100.000 Gulden vor. Doch auch diese Summe traf Mannheim hart.


Die Schleifung der Mannheimer Wallanlagen. Kolorierter Stich mit der Beschriftung "Vorstellung der Festung Schleifung Mannheims im Jahr 1799", Abbildung: Reiss-Engelhorn-Mussen Mannheim Inv. A 159

Die österreichische Besatzung blieb bis zum 18. Dezember 1797. Dann kehrten pfalzbayerische Truppen hierher zurück. Mit dem Friedensvertrag von Campo Formio in Italien im Oktober 1797 endete der erste Koalitionskrieg und Frankreich bekam das linke Rheinufer zugesprochen. Der linksrheinische Brückenkopf sollte nie wieder zu Mannheim gehören.

Dieses Objekt und weitere finden Sie in der MARCHIVUM-Publikation "Geschichte Mannheims in 100 Objekten", welche im Winter 2023 veröffentlicht wurde.

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