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Kinderzeichnungen der Mannheimer Künstlerin Ilana Shenhav aus dem Ghetto Theresienstadt

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farbiges Aquarellbild von Ilana Shenhav, das einen Baum und ein Haus in einer Landschaft zeigt (Ausschnitt)

Ilana Shenhav (1931-1986) war eine Künstlerin, die einen festen Platz in Mannheims Kunstszene hatte. Zeichnen lernt sie als Kind im Ghetto Theresienstadt bei der ehemaligen Bauhaus-Künstlerin Friedel Dicker-Brandeis. Ein Freikauf in die Schweiz rettet ihr Leben. Ilana Shenahvs Kinderzeichnungen aus dem Ghetto sind, zusammen mit ca. 6.000 anderen Kinderzeichnungen aus Theresienstadt, im Jüdischen Museum Prag erhalten.

Biografisches

Ilana Shenhav ist am 27. Juni 1931, in Ostrava, im heutigen Tschechien, geboren. Damals heißt sie Ella Herrmann. Ihre Eltern sind deutschstämmig und haben die jüdische Religion, der Vater ist von Beruf Kaufmann. 1939 besetzt die Wehrmacht die Tschechoslowakei. Es beginnen die ersten Verfolgungen und Gewaltmaßnahmen, auch gegen Juden. Die Familie geht nach Prag. Der Vater wird 1940 verhaftet und stirbt 1941 unter ungeklärten Umständen im Gefängnis.

Anfang Juli 1942 werden Ilana und ihre Mutter in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Theresienstadt, heute Terezín, ist ab 1941 ein Sammel- und Durchgangslager vor allem für die jüdische Bevölkerung des Landes. Ab Mai 1942 nach der Wannseekonferenz, die die möglichst effiziente Koordinierung der Ermordung der europäischen Juden auf Behördenebene zum Ziel hatte, werden ebenfalls alte und prominent geltende Juden aus Deutschland und anderen europäischen Ländern systematisch dorthin transportiert. Von hier werden die Menschen in die Vernichtungslager des Ostens, v.a. Auschwitz weiter transportiert.

Ilana und ihre Mutter überleben durch einen Freikauf von 1.200 Menschen aus Theresienstadt im Februar 1945 und flüchten in die Schweiz.

Ilana Shenhav und ihre Mutter im März 1945 für den Schweizerischen Flüchtlingsausweis, Fotos: Schweizerisches Bundesarchiv, Bern

Im Ghetto: Fokus auf die Kinder

Das Ghetto steht nach außen unter jüdischer Selbstverwaltung. Diese sieht die Betreuung und Erziehung der Kinder als eine der wichtigsten Aufgaben an, da sie die größten Überlebenschancen und vielleicht auch eine Zukunft haben. Getrennt nach Jungen und Mädchen sind die Kinder in sogenannten Kinderheimen untergebracht. Sie leben in Gruppen (30 bis 40 Kinder) je nach Alter in einem Zimmer. Jedes Zimmer, das „Heim“ genannt wird, hat einen Betreuer/eine Betreuerin, die sich kümmern. Ein geregelter Tagesablauf, auch durch Unterricht, der offiziell nicht erlaubt ist und daher "Beschäftigung" heißt, soll einigermaßen Stabilität verschaffen.

Ilanas Zeichnung vom Zimmer 27 im Haus L410 in Theresienstadt. Die Zimmer waren eng und vollgestellt mit Betten. Es gab wenig Platz und noch weniger persönlichen Freiraum, Abbildung: Jüdisches Museum, Prag

Zeichenunterricht bei Friedl Dicker-Brandeis (1898-1944)

Theresienstadt ist Ghetto der Schriftsteller, Künstler, Musiker, Wissenschaftler. Diese Menschen unterrichten die Kinder. Eine der bekanntesten Künstlerinnen, die Zeichenunterricht gibt, ist Friedl Dicker-Brandeis – eine Bauhaus-Schülerin, die mit ihrem Mann Pavel Brandeis im Dezember 1942 aus Prag nach Theresienstadt deportiert wird.

Friedl Dicker-Brandeis, Foto: Wikipedia

Dicker-Brandeis hat bereits als Künstlerin ein reformpädagogisches Konzept für das Arbeiten mit Kindern entwickelt, das deren Selbständigkeit in den Mittelpunkt stellt. Dieses Konzept erweitert sie in Theresienstadt nochmals. Sie unterrichtet Zeichnen im Kinderheim L410 – auch im Zimmer 27, in dem Ilana mit 24 anderen Mädchen lebt.

Ilanas Zeichnung "Haus auf dem Land". Unter diesem Titel finden sich in der Sammlung der Kinderzeichnungen mehr als 180 Werke, die alle zum Themenblock "Erinnerungen an die Zeit vor der Deportation" gehören, Abbildung: Jüdisches Museum, Prag

Als Friedl Dicker-Brandeis Mann Ende September 1944 nach Auschwitz deportiert wird, folgt sie ihm mit einem weiteren Transport und wird kurz nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet. Aber bevor sie fährt, packt sie alle Kinderzeichnungen in einen Koffer und versteckt ihn. Nach Ende des Krieges findet er den Weg in das jüdische Museum Prag. Diese knapp 6.000 Kinderzeichnungen hat das Museum digitalisiert, und sie sind heute online abrufbar. Auch die Zeichnungen von Ilana Shenhav finden sich dort unter ihrem Mädchennamen Elly Herrmann.

Die abstrakte Farbkomposition von Ilana erinnert an eine Pflanze. Im Zeichenunterricht gab es auch Themen, bei denen die Kinder sich mit Farben, Farbwirkung und Gestaltung auseinandersetzten, Abbildung: Jüdisches Museum, Prag

Die Zeichenstunden bei Friedl Dicker-Brandeis sind in der Erinnerung der Mädchen, die überlebt haben "ein leuchtender Stern im Dunkel des Ghettos". Sie malten, zeichneten, bastelten und machten Collagen.

Friedl Dicker-Brandeis brachte neben dem Material auch oft Kunstbücher und Gegenstände mit, die als Modell dienten – hier eine Zeichnung von Ilana nach dem "Idealbildnis einer Kurtisane als Flora" des Renaissance-Künstlers Bartolomeo Veneto, Abbildung: Jüdisches Museum, Prag

Zeitzeuginnen erinnern: "Meist herrschte Stille bei der Arbeit. Denn von Friedl Dicker-Brandeis ginge eine Kraft aus, die die Kinder inspirierte. Man musste bei ihr nicht gut zeichnen können. Das war nicht das Wichtigste für sie", schildert Helga (damals in Zimmer 28) ihren Unterricht. "Es kam darauf an, sich zu entfalten, sehen zu lernen, Farben zu erkennen. Mit Farben zu spielen. Bewegungen nach Musik zu machen oder nach einem bestimmten Takt. (…) Ihre Art zu unterrichten – das gab uns für Augenblicke ein Gefühl der Unbeschwertheit. Sie hat es vermocht, eine positive Einstellung zu unserem Zustand, zum Leben in Theresienstadt in uns wachzurufen. In ihrer Gegenwart fügte sich alles zum Guten, und das wie fast von selbst."

Dieser Zeichenunterricht hat definitiv in Ilana Shenhavs Kunst Spuren hinterlassen: Ihr bevorzugtes Format ist über viele Jahre die Zeichnung. Im Gespräch, in der Straßenbahn, auf kleinen Kärtchen, rasch hingeworfen, werden Dinge, Menschen, Ideen festgehalten, scharf beobachtet und oft ins Skurrile und Abstrakte gekehrt.

o. T. (Tanzende Frau), o.J. Filzstift auf Papier., Abbildung: Künstlernachlässe Mannheim

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