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Napoleon und Mannheim

Napoleon in seinem Arbeitszimmer. Gemälde von Jacques-Louis David, 1812 (Ausschnitt)

Napoleon kam nur bis Ludwigshafen – beziehungsweise in die Dörfer links des Rheins, aus denen Jahrzehnte später die nach einem bayerischen König benannte Industriestadt entstehen sollte. Das gegenüberliegende Mannheim besuchte er indes nie. Mehrfach kursierten zwar Gerüchte, der Korse würde in Bälde in die Quadratestadt einziehen oder sie zumindest passieren – doch alle diesbezüglichen Erwartungen wurden enttäuscht. Stets zog er es vor, an anderen Orten den Rhein zu überqueren oder auch zu nächtigen.

Am nächsten kam Napoleon der Stadt am 3. Oktober 1804 im Rahmen einer Reise ins Rheinland, als er in Frankenthal zur Übernachtung Station machte. Da es noch früh am Tag war, ritt er am Spätnachmittag rheinabwärts bis zur Höhe der ehemaligen Rheinschanze, wo sich heute die Innenstadt Ludwigshafens befindet. Von hier aus warf er einen Blick auf Mannheim und betrachtete die eindrucksvolle Silhouette mit Schloss und Jesuitenkirche. Er überquerte jedoch nicht den Fluss, sondern zog es vor, zu seinem Nachtlager zurückzukehren.

Blick nach Mannheim vom linken Rheinufer aus. Lithographie von F. Mayer, um 1790, MARCHIVUM

Dennoch war ihm die Stadt an Rhein und Neckar keineswegs unbekannt. Als Militär wusste er von der eindrucksvollen, wenn auch in die Jahre gekommenen Festung, als Politiker kannte er die Stadt als umstrittene Verhandlungsmasse im großen Länderschacher, der mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 einen vorläufigen Abschluss gefunden hatte. Im Ergebnis der von Napoleon bestimmten Länderneugliederung wurde der Rhein zur neuen deutsch-französischen Grenze. Da das verbliebene wittelsbachische Herrscherhaus kein größeres Interesse mehr an seinen Stammlanden hatte, fiel der rechtsrheinische Rest der Kurpfalz an das kleinere Baden mit Karlsruhe als Hauptstadt. Mannheim hatte das Nachsehen und musste sich fortan mit dem Rang einer Provinzstadt begnügen. Zwar sollte 1806 als Kompensation und symbolische Geste des neuen Herrscherhauses das Erbgroßherzogspaar Karl und Stephanie ins Schloss einziehen, doch dies konnte nicht über den erlittenen Bedeutungsverlust hinwegtäuschen.

Napoleon in seinem Arbeitszimmer. Gemälde von Jacques-Louis David, 1812, Wikicommons

Mannheim war in der Krise und Napoleon dafür sicherlich einer der Urheber. Seine politischen Entscheidungen verschärften die ohnehin seit mehreren Jahrzehnten in der Stadt grassierenden Strukturprobleme. Die Abtretung der linksrheinischen Pfalz an Frankreich und die damit verbundene Errichtung neuer Zollgrenzen schnitten Mannheim von seinem Kerngebiet ab und zerstörten ein über Jahrhunderte etabliertes Netz an Lieferwegen und Absatzmärkten. Zusätzlich musste die Stadt durch die Verlegung der wichtigsten Verwaltungs- und Gerichtsbehörden einen Aderlass erleiden, da viele Beamte ab 1803 nach Karlsruhe versetzt wurden. Durchaus nachvollziehbar, dass so mancher Zeitgenosse wie der Archivar Albert Friederich Mannheim "vor dem Untergang" sah.

Auswirkung der Kontinentalsperre: Warenverbrennung auf dem Mannheimer Marktplatz 1810, Zeichnung um 1855, MARCHIVUM

Dass die Zeiten auch nach 1803 schwierig blieben, war ebenfalls untrennbar mit dem Korsen verbunden. Weit mehr als tausend Mannheimer mussten über Jahre als Soldaten in seinen Feldzügen in ganz Europa kämpfen. Es ging nach Preußen, nach Polen, gegen Österreich, nach Spanien und zuletzt nach Russland, von wo nur wenige lebend zurückkehrten. Und auch für die Zivilisten war das Leben hart. Nicht nur wurde die Stadt wiederholt von Truppendurchzügen und auch -einquartierungen in Mitleidenschaft gezogen, die ständigen Kontributionen sowie schließlich die Kontinentalsperre bewirkten einen drastischen Anstieg der Preise und Schulden und ließen große Teile der Bevölkerung verarmen. Kritik an den Verhältnissen war dabei kaum möglich; die Presse wurde zensiert und die öffentliche Meinung gelenkt.

Doch trotz dieser Belastungen gab es auch positive Entwicklungen in jener Zeit. Die umfangreichen Rechts- und Verwaltungsreformen, welche die badische Regierung durchführte, gingen zu großen Teilen direkt auf den Kaiser selbst zurück und bewirkten eine nachhaltige Modernisierung von Staat und Gesellschaft. Das neue Badische Landrecht von 1810 fußte auf dem Code Napoleon und regelte etwa die Einführung der Zivilehe, der Religionsfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Emanzipation der Juden, die Abschaffung vieler Adelsprivilegien und nicht zuletzt eine Rechtseinheitlichkeit und Rechtssicherheit für die Menschen im ganzen Land. Indes wurde die weitreichende Bedeutung vieler dieser Reformen angesichts der aktuellen Nöte zunächst kaum wahrgenommen.

Der napoleonische Adler ist geköpft: Teil einer Illumination in einem Mannheimer Garten, 1814, MARCHIVUM

Stattdessen avancierte Napoleon während der Befreiungskriege 1813/14 zur allgemeinen Hassfigur, die nun – endlich! – öffentlich ins Visier genommen werden konnte. Spottkarikaturen kursierten ebenso wie franzosenfeindliche Lieder und Gedichte, der nationale Überschwang schlug sich auch in Mannheim schnell eine Bahn. Im Oktober 1814, zum ersten Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig wurde etwa ein großes patriotisches Fest gefeiert mit Dankgottesdienst, Umzug und Volksbelustigungen. Und selbst Privatleute wie der Freiherr Nicolaus Eeuwius Siegers van de Würde ließen es sich nicht nehmen, öffentlich Flagge zu zeigen und anlässlich des Einzugs der Alliierten in Paris am 12. Mai 1814 das eigene Haus mit Schautafeln zu illuminieren, die so manche antinapoleonische Spitze enthielten und ein Feuerwerk über den Sieg zu veranstalten.

Dennoch hatte das Feindbild Napoleon nicht allzu lange Bestand. Die bedrückende Zeit der Restauration nach 1815 ließ den ehemaligen Kaiser vor allem in liberalen Kreisen bald wieder in einem positiveren Licht erscheinen – wurde er doch nun als Vorkämpfer gegen das alte System gesehen, der mit seinen Reformen den bürgerlichen Freiheiten einen Weg eröffnet habe. Dies galt insbesondere für den deutschen Südwesten. Vor allem in der linksrheinischen Pfalz, die ja bis 1814 zu Frankreich gehört hatte, etablierte sich ein regelrechter Napoleonkult, der zusehends auf das rechtsrheinische Gebiet ausstrahlte. Und auch in Mannheim wurde die nunmehr Geschichte gewordene Zeit des französischen Imperators differenzierter gesehen. Selbst ein so kritischer Geist wie der Liberale Friedrich Daniel Bassermann ließ es sich nicht nehmen, mehrere Bilder des Kaisers in seinem Schlaf- und Arbeitszimmer aufzuhängen. Letztlich kam Napoleon so dann doch in die Quadratestadt.

Mehr zu Napoleon und Mannheim finden Sie in der MARCHIVUM-Publikation "Napoleons Zweitfamilie in Mannheim. Der Sohn, die Geliebte, die Adoptivtochter und der Intendant des Nationaltheaters", die im Herbst 2023 veröffentlicht wurde.

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