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Strebelwerke, Schildkröt und Mohr & Federhaff – der Beginn des industriellen Strukturwandels in Mannheim

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schwarz-weiße Luftaufnahme von den Strebelwerken im Industriehafen, 1956 (Ausschnitt)

Die Industrie, die der Quadratestadt über Jahrzehnte hinweg Strahlkraft, Arbeitsplätze und Reichtum beschert hatte, sah sich ab den 1970er Jahren zunehmenden Herausforderungen ausgesetzt: Rationalisierung, Konkurrenz aus dem Ausland, Konzentrations – wie auch Arbeitsteilungsprozesse machten auch den Mannheimer Unternehmen zu schaffen.

In der Öffentlichkeit wie auch der lokalen Politik wurde diese Problemlage lange Zeit eher als nachrangig wahrgenommen. Während im Saarland oder im Ruhrgebiet bereits ein drastisches Firmensterben eingesetzt hatte, wähnte man sich in Mannheim aufgrund der Diversifizierung des industriellen Sektors lange auf der sicheren Seite.


Die Wirtschaft in Mannheim boomt. Blick in den Mühlauhafen, 1957, Foto: Robert Häuser, MARCHIVUM

So richtig ins öffentliche Bewusstsein gelangte der industrielle Strukturwandel erst 1974, im sogenannten "Jahr der Pleiten". Am 6. Februar 1974 beantragten die traditionsreichen Strebelwerke Konkurs. Der Heizungsbauer hatte eine führende Marktposition in Deutschland innegehabt, sich nun aber nicht mehr als konkurrenzfähig erwiesen. Verluste der vergangenen Jahre waren von der Geschäftsführung verheimlicht worden, so dass die Pleite für Mitarbeitende wie Außenstehende völlig überraschend kam. 2.400 Personen verloren schlagartig ihre Arbeitsplätze, zudem mehrere hundert Ehemalige ihre Betriebspensionen. Diese erste Massenentlassung in Mannheim in der Nachkriegszeit wirkte wie ein Fanal und ein Schock auf eine Öffentlichkeit, die wirtschaftlichen Fragen bis dato eher indifferent gegenübergestanden hatte.


Die Strebelwerke im Industriehafen, hier Luftaufnahme von 1956, Foto: MARCHIVUM

Denn die Pleite der Strebelwerke blieb kein Einzelfall. Die Ursachen lagen trotz des kriminellen Handelns des Managements tiefer und zeigten eine dramatische Krise der Industrie auf. Weitere Firmenschließungen folgten: Betroffen waren etwa die Stahlwerke Mannheim GmbH (1974), die für ihre legendären Schildkröt-Puppen bekannte Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik (bzw. zuletzt Schildkröt AG) im Jahr 1975 oder der Aufzug- und Kranbauer Mohr und Federhaff (1981). Die beiden letztgenannten Unternehmen galten wenige Jahre vorher noch als Aushängeschilder der Stadt. Gewissermaßen im Windschatten dieser Massenentlassungen gingen zahlreiche weitere industrielle Arbeitsplätze in Mannheim verloren, wenig öffentlichkeitswirksam und doch in der Statistik nicht übersehbar.

Es war ein langer und schmerzhafter Prozess, der mit der Pleite der Strebelwerke begann und Mannheim bis in die 2000er Jahre in Atem hielt. Auch die vier größten Industrieunternehmen in der Stadt – Daimler-Benz, BBC/ABB, Boehringer sowie JohnDeere – die lange Zeit für Stabilität gesorgt hatten, mussten sich ab Mitte der 1980er Jahren organisatorisch und technisch neu aufstellen. Dies ging immer zu Lasten der Arbeitnehmer*innen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten halbierte sich nahezu die Anzahl der Arbeitsplätze in diesen Betrieben.


Protestplakat gegen das Kürzungsprogramm bei ABB, 1998, Plakat: MARCHIVUM

Die Arbeitslosenquote war bald die höchste in Baden-Württemberg und überstieg 1988 erstmals den Bundesdurchschnitt. "Armenhaus im Musterländle" nannte 1988 die Wochenzeitung "Die Zeit" die Quadratestadt. Der industrielle Strukturwandel hatte Mannheim verspätet erfasst, dann aber in einem Maße wie kaum eine andere süddeutsche Kommune. Zwischen 1970 und 2007 sank der Anteil des produzierenden Gewerbes an den Beschäftigten von 55 auf 33 Prozent bzw. von 86.100 auf 52.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte.

Dieser Trend hat sich zwar verlangsamt, hält indes bis heute an. Und so ist Gerhard Widder, Mannheimer Oberbürgermeister von 1983 bis 2007, zuzustimmen, der feststellte, dass der Strukturwandel "kein einmaliger, irgendwann abgeschlossener Vorgang, sondern ein fortlaufender Prozess" sei. Man könne sich nicht ausruhen, sondern müsse immer wach sein und an den Rahmenbedingungen arbeiten. Im heutigen Zeitalter der Digitalisierung und des Klimawandels mit ganz neuen Herausforderrungen bekommt diese Aussage eine neue Qualität. Indes ist es Mannheim bis heute gelungen, Industriestandort zu bleiben, ohne wie früher ausschließlich Industriestadt zu sein.

alles zum Thema: Stadtgeschichte, Strukturwandel

Napoleon und Mannheim

Napoleon kam nur bis Ludwigshafen – beziehungsweise in die Dörfer links des Rheins, aus denen Jahrzehnte später die nach einem bayerischen König benannte Industriestadt entstehen sollte. Das gegenüberliegende Mannheim besuchte er indes nie. Mehrfach kursierten zwar Gerüchte, der Korse würde in Bälde in die Quadratestadt einziehen oder sie zumindest passieren – doch alle diesbezüglichen Erwartungen wurden enttäuscht. Stets zog er es vor, an anderen Orten den Rhein zu überqueren oder auch zu nächtigen.

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